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(© by me; original text “Rewind” first posted on May 9th, 2013 at Suburban Road)

Nobody told me there’d be days like these… Wahrscheinlich war es eine dieser grundlegenden Fragen, eine von diesen Entscheidungen, bei denen man nur die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten hat: Schoko oder Vanille, Coke oder Pepsi, Stones oder Beatles. Für dich war zumindest diese eine konkrete Frage bereits entschieden, noch lange bevor wir uns begegneten: die Beatles, ganz klar.

Rewind. Play.

Mein Ding waren die Beatles nie so wirklich. Klar habe ich gelernt, ihnen zuzuhören; vor allem aber habe ich verstanden, wieso du sie so mochtest und warum die kleinen Härchen auf deinen Armen und in deinem Nacken sich aufstellten, sobald du einen bestimmten Akkord oder eine Melodie hörtest. Ich habe gesehen, dass sie dir etwas gaben… und mir nicht. Ich habe zu ihnen im Takt mit dem Fuß geklopft, habe ab und an einen Refrain mit dir zusammen gesummt, habe mich gefreut, wenn du mit ihnen glücklich warst – aber ihre Musik hat mich innerlich nie so sehr erfüllt wie dich.

Rewind. Play.

War das der Grund, warum wir es nicht geschafft haben? Oder nur eine weitere Welle, die unser Boot letztlich kentern ließ?

Ich habe dein Mixtape gefunden, das, von dem du dachtest, wir hätten es in der alten Wohnung verloren. Es steckte in einem kaputten Walkman von mir, und ich weiß auch wieder wieso: ich habe es dort hineingetan. Ich musste es vor dir verstecken, weil du diesen einen Song immer und immer wieder gespielt hast, jeden Tag, wochenlang. Dann hattest du dir endlich einen anderen Ohrwurm gesucht, und ich habe das Band versteckt, aus Angst, du könnest wieder zu diesem Lied zurückkehren. Doch das ist nicht passiert.

Rewind. Play.

Stattdessen spiele ich es jetzt, auf dem Kassettendeck meiner alten Anlage, die ich all diese Jahre aufgehoben habe. ‘Aus Nostalgie’ sagte ich immer, und du hast gelacht, den Kopf geschüttelt und mich einen Schrottsammler genannt, der sich einfach nur nicht von seinen Sachen trennen wollte. Aber du hast mich dafür geliebt, dass ich sie behalten habe; das haben mir deine Augen verraten. Und inzwischen glaube ich, dass ich sie all diese Jahre nur dafür aufbewahrt habe, um mir heute dein Band anzuhören. Grade jetzt singt Lennon davon, dass jeder ein Gewinner ist. Habe ich die Stelle mit den Nazis im Badezimmer schon verpasst oder kommt sie noch? Mir fällt jetzt wieder auf, dass gar nicht alle singen; es ist nur John.

Rewind. Play.

‘Nur John’ – damals hättest du mir für diese Worte spielerisch für ein paar Augenblicke die Hände an die Kehle gelegt und mich geschüttelt, aber dann hättest du dich hingesetzt, die Beine überkreuzt, mich ernst angesehen und mir einmal mehr die Wichtigkeit dieses einen Mannes erklärt, seinen Einfluss auf Öffentlichkeit, Gesellschaft und Politik und die Macht seiner Worte und Taten. Ich erinnere mich noch, wie du immer betontest, dass seine Liedtexte zu den wichtigsten und wirkungsvollsten zählten, die du je gehört hast. Ich hätte dann genickt, so wie immer, und dabei an den Anderen gedacht, den man den Electric Poet nannte, oder auch Mr. Mojo Risin. Ich glaube, in gewisser Hinsicht war Jim für mich das, was John für dich gewesen ist: jemand, der etwas zu sagen hatte, auf seine ganze eigene Art. Aber du hattest dich auf The Doors nie so sehr einlassen können wie ich, das wusste ich, und daher habe ich dich nie unterbrochen. Es wäre einfach zu viel Aufwand gewesen.

Rewind. Play.

John Lennon. Bevor ich dich traf, war alles, was ich über ihn wusste, dass er sich mit diesem Mädchen aus Japan eingelassen hat und dass daran letztendlich seine Band zerbrochen ist. Einmal, auf dieser einen Party damals, beging ich den Fehler, das laut auszusprechen und dich hat das natürlich gleich verärgert. Sofort hast du angefangen, mir einen Vortrag über das Leben von John Lennon zu halten, denn du warst nicht gewillt, meine oberflächliche und offenkundig falsche Sichtweise zu dem Thema einfach so im Raum stehen zu lassen. So haben wir uns damals kennengelernt. Und uns dann, als es ruhiger wurde, zum ersten Mal so richtig unterhalten.

Was war eigentlich mit den drei anderen? Da war natürlich McCartney, klar, an ihn erinnere ich mich von diversen anderen Aktionen; hauptsächlich Wohltätigkeitsveranstaltungen, aber auch eigene Konzerte und Aufnahmen mit anderen Musikern. Ich habe ihn nie Paul genannt, so wie du, für mich war er einfach immer nur McCartney. Beim Namen des anderen Gitarristen verlässt mich mein Gedächtnis fast immer; ich überlege dann meistens für mindestens fünf Minuten, aber er fällt mir nie ein. Er ist vor einer Weile gestorben, so viel weiß ich noch, aber mehr bleibt mir einfach nicht im Kopf. John ist jedenfalls schon länger tot als er.

Rewind. Play.

Und Ringo Starr, natürlich. Diesen Namen werde ich ganz sicher nie vergessen. Und das vor allem wegen Thomas, dieser albernen kleinen Lokomotive aus dem Kinderfernsehen. Wir haben James sogar so eine als Spielzeug geschenkt, weißt du noch? Ich erinnere mich deutlich, wie aufgeregt du plötzlich warst, nachdem du gelesen hattest, dass der Drummer in einigen der frühen Episoden die Stimme des Erzählers war. Natürlich hast du gleich alle Folgen gekauft und sie dir mit James angesehen, immer und immer wieder. Ich bin mir sicher, du hättest ihn auch die Beatles hören lassen.

Rewind. Play.

Nobody told me there’d be days like these… John singt immer noch, unverändert, unablässig und in voller Lautstärke, so wie damals. Auch mir hat niemand gesagt, dass es Tage wie heute geben würde, an denen die Erinnerungen stärker sind als alle Vernunft oder Logik. Wenn der alberne Wunsch, die Zeit zurückzudrehen und alles zu ändern, stärker ist als alle Gelöbnisse der Nüchternheit und sämtliche Wochen und Monate des Trockenseins zusammen. Wenn alles, was du hast, die Flasche in deiner Hand ist, und die Vergangenheit in deinem Kopf und die Trauer in deinem Herzen und der elende Wunsch in deinen Eingeweiden, dass es alles endlich endet. Ihn zu verlieren war schon schwer genug; dich auch noch zu verlieren war unerträglich. Und das ist es immer noch.

Rewind. Play.

Es war der Unfall. Natürlich, es war ein Unfall, jeder hat das gesagt. Keiner hätte es vorhersehen können, oder verhindern. Es geschah alles so schrecklich schnell… und ich war wie erstarrt. Von einem Augenblick zum anderen war da diese Leere in unseren Leben, ein Riss, ein schwarzes Loch zwischen uns, und nichts, was wir tun oder sagen oder wünschen konnten, würde es je wieder schließen. Denn James war weg. Unser Junge war weg und er würde nie mehr wiederkommen.

Vielleicht war das der Grund, warum du letztendlich für immer fortgegangen bist. Vielleicht war es die Tatsache, dass kein Beatles-Song je diese Leere für dich hätte füllen können – und selbst wenn es einen gegeben hätte, wäre ich kein Teil davon gewesen, das weiß ich. Die Beatles waren ein Teil deines Lebens, aber nie wirklich ein Teil von meinem. Ich glaube, das wusste ich. Von Anfang an.

Vielleicht war es wirklich diese eine grundsätzliche Sache, die uns beide einst zusammenführte – aber letztlich doch für immer trennte.

Rewind. Eject.